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'''Komplementarität''' ist ein Begriff der für zwei (scheinbar) widersprüchliche, einander ausschließende, nicht aufeinander reduzierbare Beschreibungsweisen oder Versuchsanordnungen, die aber in ihrer wechselseitigen Ergänzung zum Verständnis eines s oder es im Ganzen notwendig sind. Diesen Begriff hatte der Physiker als in die eingeführt und anschließend auf viele Gebiete übertragen. Deshalb wurde der Begriff vieldeutig und bezeichnet häufig nur noch ein grundsätzliches ?Sowohl-als-auch?.

Zwei komplementäre en gehören zusammen, sofern sie dieselbe haben, also dasselbe ?? betreffen, jedoch nicht voneinander abhängig sind. Die zwei verwendeten Methoden unterscheiden sich grundsätzlich im Verfahren und können in der Regel nicht gleichzeitig, sondern nur nacheinander eingesetzt werden.

Vorläufer und verwandte Ideen

Der Ethnologe erkannte in der Bildung von komplementären Gegensätzen (sog. n) wie ?Mann?Frau?, ?alt?jung?, ?klein?groß?, ?kalt?heiß? usw. das Grundmuster jeglicher im menschlichen Denken.<ref name="dtv-Ethnologie"> (Text), Bernd Rodekohr (Illustrationen): ''Dtv-Atlas Ethnologie.'' 2. Auflage. dtv, München 2010, S. 53, 91, 247.</ref>

Vorläufer des Konzeptes der Komplementarität mit der Absicht, einen fundamentalen Widerspruch aufzuheben oder eine Paradoxie zu kennzeichnen, sind zu finden:

  • in der mit dem -Prinzip, der unlösbaren Verbundenheit von Gegensätzen zu einer ();
  • in der und über die göttliche, gottähnliche oder geschöpfliche Natur (, ), die Vereinbarkeit der Liebe und Allmacht Gottes mit der Existenz des Bösen in der Welt (), sowie in der Verhältnisbestimmung zur Naturwissenschaft in der Frage nach Schöpfung und Weltentstehung (siehe );
  • in der '''' ();
  • in der Lehre von den zwei Attributen einer Substanz-Lehre (Doppel-Aspekt-Lehre) von , nach welcher Geist und Materie zwei Seiten ein und derselben Sache sind (''una eademque res'');
  • in der Lehre vom (, );
  • in den n s, beispielsweise zu und .

Auch das Wort ?komplementär? ist lange vor Bohrs neuer Begriffsprägung zu finden:

  • in der das Verhältnis zweier Klassen, von denen die eine alle Elemente enthält, die nicht Elemente der anderen sind (siehe , );
  • in der und als ;
  • in der und für die Abspaltung von sbereichen, die dann nebeneinander bestehen und deren Inhalte wechselseitig unzugänglich werden (, );
  • in den en beschreibt das (Gegenwort) den Komplementärbegriff;
  • in der , in und .

Quantenphysik

In der wird Komplementarität heute meist am Beispiel des des es erläutert, das in der einen Versuchsanordnung als Welle, in der anderen als Teilchen zu beschreiben ist (Siehe ). Außerdem wird auf den Sachverhalt der hingewiesen, dass bestimmte , z. B. der und der eines s, nicht gleichzeitig einen exakt definierten Wert besitzen können ().

Bohr hat den Begriff nicht eindeutig verwendet. Zentral ist der komplementäre Charakter der quantenmechanischen Naturbeschreibung, die eine neue Sicht auf die Beziehung zwischen Raum-Zeit-Darstellung und der Forderung der verlangt. Wesentlich ist die erkenntnistheoretische Einsicht, dass quantenmechanische Feststellungen und ? verallgemeinert ? viele wissenschaftliche Befunde, beispielsweise in der und , von der gewählten Versuchsanordnung sowie anderen Untersuchungsbedingungen abhängen und einander ausschließende Züge der Beschreibung darstellen können. Insofern ist Heisenbergs Unschärferelation für Bohr nur ein elementares Beispiel (Siehe ).

Inwieweit Bohr bei seiner Wahl des Ausdrucks Komplementarität durch die Ideengeschichte und Vorläufer in Philosophie und Theologie angeregt war, ist umstritten.

Neuere Konzepte von Komplementarität

Beispiele finden sich:

  • in der das Verhältnis sich ergänzender räumlicher molekularer Strukturen, deren Zusammenwirken nach dem Voraussetzung für die Erfüllung einer bestimmten Funktion ist;
  • in der , , und der Zusammenhang und das Aufeinander-bezogen-Sein des persönlichen Erlebens (der immateriellen Bewusstseinsprozesse) und der neuronalen Prozesse, der ?rein psychischen? und ?rein körperlichen? Faktoren, zur Erklärung von en und en;
  • in der nach beschreibt Komplementarität die gegenseitige Ergänzung und Korrektur verschiedener Methoden, die denselben Gegenstand haben, so z. B. die Theorie eines ethnozentrischen Imperialismus gegenüber der Annahme von universellen psychischen Prinzipien oder das Standortbewusstsein eines Ethnopsychiaters gegenüber der Verabsolutierung von Teilaspekten einer Kultur;
  • in der nach das Zusammenspiel zweier Verhaltensmuster in zirkulären s­abläufen, die sich gegenseitig ergänzen und bedingen (wie etwa Lehrer und Schüler oder Verfolger und Verfolgter);
  • in der das Zusammenwirken zweier en in lokalen Wirtschaftskreisläufen ();
  • in der nach ein Prinzip, um das Phänomen anhand des Verhältnisses von Erkenntnis und Erfahrung zu erklären;
  • im bezeichnet der Komplementaritätsgrundsatz das Verhältnis zwischen dem und nationalen Gerichten.

Kritik

Das Komplementaritätsprinzip wurde, dem Vorbild Bohrs folgend, in verschiedene Wissenschaftsbereiche übernommen. Kritisch kann eingewendet werden, dass die Verallgemeinerung des ursprünglichen Begriffs auf andere Gegensätze im Sinne eines vagen Sowohl-als-auch kaum mehr als eine liefert. Der Ausdruck Komplementarität sei im Grunde überflüssig oder decke Widersprüche nur zu. Nicht jedes Paar von Gegensätzen, jedes oder jede könne als komplementäre Beziehung bezeichnet werden.

Solche Übertragungen weichen von wichtigen Definitionsmerkmalen des Komplementaritätsprinzips in der Quantenmechanik ab. In der Regel sind keine physikalisch formulierten aus ellen Versuchsanordnungen gegeben. Die verwendeten Methoden sind nur selten genau definiert, und die Fragen, ob sie sich wechselseitig ausschließen oder nicht gleichzeitig anzuwenden sind, bleiben offen. Unterscheiden sich die verwendeten (beiden) Methoden grundsätzlich und gehören sie vielleicht in grundverschiedene e? Der bestehende Unterschied oder Widerspruch ist selten in einer sich strikt ausschließenden Form formuliert, also nicht . Es geht ''nicht'' mehr um unvereinbare, experimentell nebeneinander bestehende Beobachtungssätze, sondern um ''Interpretationssätze'' (Siehe ) oder sogar nur um einfache Kombinationen von Methoden bzw. Ansichten oder um .

Andere Autoren behaupten eine , beziehungsstiftende Funktion und methodologische Fruchtbarkeit des Konzepts, wobei häufig nicht eine Lösung eines Problems behauptet, sondern es als ein Vermittlungsversuch verstanden wird. Deshalb wäre es der Verständigung dienlich, in den meisten Fällen höchstens von ''Komplementärverhältnissen'' zu sprechen und von wechselseitiger Ergänzung, oder die weniger belasteten Begriffe , Doppel-Perspektive und vorzuziehen, die nicht durch Definitionen aus der Quantenmechanik kompliziert sind.

Literatur

  • Jochen Fahrenberg: ''Zur Kategorienlehre der Psychologie. Komplementaritätsprinzip. Perspektiven und Perspektiven-Wechsel.'' Pabst Science Publishers, Lengerich 2013, ISBN 978-3-89967-891-8
  • David Favrholdt (Hrsg.): ''Complementarity Beyond Physics (1928?1962).'' Volume 10. Elsevier, Amsterdam 1999.
  • Ernst-Peter Fischer: ''Sowohl als auch. Denkerfahrungen der Naturwissenschaften.'' Hamburg: Rasch und Röhrig, Hamburg 1987, ISBN 978-3-89136-118-4.
  • Ernst-Peter Fischer, Heinz S. Herzka, Karl-Helmut Reich (Hrsg.): ''Widersprüchliche Wirklichkeit.'' ''Neues Denken in Wissenschaft und Alltag. Komplementarität und Dialogik.'' Piper, München 1992, ISBN 3-492-11554-3.
  • Karl-Helmut Reich: ''Developing the horizons of the mind: Relational and contextual reasoning and the resolution of cognitive conflict.'' Cambridge Univ. Press, Cambridge 2002, ISBN 978-0-521-81795-0.

Weblinks

Einzelnachweise